Hat die Linke noch Ahnung von den Lebenswirklichkeiten der unteren Schichten?

PDie Akademisierung der politischen Linken schreitet immer weiter voran. Menschen mit und ohne Hochschulabschluss leben in unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten. Die politische Linke muss endlich wieder Empathie für die Benachteiligten bekommen. Aber das geht nur mit Beratung statt mit Herablassung.

Ich habe mich ja wegen meiner undifferenzierten Notiz zu den liberalen Hochschullinken natürlich unbeliebt gemacht. Ich will euch aber nicht verärgern, sondern wach rütteln!
Natürlich habe ich nichts gegen Bildungsexpansion und freue mich über jedes Kind aus klassischen Arbeitnehmerhaushalten, das es mit einem Hochschulabschluss schafft, sowie ökonomische, als auch kulturelle Gestaltungsräume zu öffnen.
Und natürlich gibt es viele tolle Persönlichkeiten, die in dieser „neuen Mittelklasse“ angekommen (0der mittlerweile auch hinein geboren) sind, eine herausragende Empathie für die hart arbeitenden Menschen aus der unteren Mittelschicht und prekären Klasse haben und ihren Habitus solidarisch für diese Menschen bereit stellen.

Frau Wagenknecht beispielsweise ist eine Persönlichkeit, die als Akademikerin erkannt hat, dass die linken Parteien, die eigentlich einst Arbeiterparteien waren, sich immer mehr zu Akademikerparteien entwickeln.

„Was heute als links gelte, habe mit den traditionellen Anliegen linker Politik nicht mehr viel zu tun, sagte Wagenknecht der „Süddeutschen Zeitung“. „Statt um soziale Ungleichheit, Armutslöhne und niedrige Renten drehen sich linke Debatten heute oft um Sprachsensibilitäten, Gendersternchen und Lifestyle-Fragen.“ Quelle Tagesspiegel

Wettbewerb wird als Bedrohung wahrgenommen/ Kooperationen nützen Menschen aus unteren Schicht nichts

Es ist nun mal so. Arme, Arbeitslose und Menschen die sich aus der Mittelschicht abgehängt fühlen, wählen mehrheitlich keine linke und progressive Parteien mehr. Sie fühlen sich gegängelt, wenn sie sich sprachlich nicht linkskorrekt ausdrücken oder werden mit der linken Nazikeule verprügelt, wenn sie Bedenken gegen unkontrollierte Einwanderung äußern. Die linke Avantgarde versteht nicht, dass diese Menschen Wettbewerb nicht als Bereicherung, sondern als Bedrohung wahrnehmen.  Begrüßenswerte Internationale Kooperationsbestrebungen der Linkskulturellen werden in unteren Schichten kaum bejubelt. („Was haben wir denn davon? Verbessert es auch unser Leben. Interessiert es euch überhaupt?“). Sicher nicht, weil sie gegen Kooperationen sind. Im Gegenteil. In ihren Milieus überleben sie durch gegenseitige Kooperationen Von den Entscheidungen von Oben kommt es für „uns da unten“ oftmals zu belastenden Wettbewerbssituationen. (Wohnungsmarkt, Arbeitsmarkt,  in Schulpflegschaften usw usw. ).

Die Wahlbeteiligung ist in diesen Schichten am geringsten und seit 2015 glauben viele von Ihnen, dass die AfD eine Alternative für ihr Schicksal sein könnte.
Das ist traurig und mir tut das tatsächlich auch sehr weh. Es ist auch für mich immer wieder in meinem unmittelbaren Umfeld eine zermürbende Herausforderung.
In linkskukturellen Kreisen, die auch immer mehr auf Gewerkschaften Einfluss haben, streite ich mich mit denen darum, dass mit partikularen Kulturinteressen keine soziale Ungleichheit bekämpft werden kann. Mit meinen eigene Milieuangehörigen aus der „alten Mittelschicht“ streite ich mich mit dem AFD Auswüchsen herum und versuche zu erklären, dass den völkisch konservativen und nationalliberalen AFD Eliten die Interessen der Arbeitnehmerschaft scheißegal sind.

Beraten statt Herablassungen

Ist das alles noch zu wenden? Ich hoffe, dass SPD und Linke in der Opposition zusammen sich daran erinnern warum ihre Mütter und Väter unter Einsatz ihres eigenen Leben sich organisierten, um Verbesserungen für die Benachteiligten und abhängig lebenden Menschen zu erreichen!
Es soll hier nicht heißen, dass  Akademiker_innen in sozialen Parteien nicht mehr willkommen sind. Ganz im Gegenteil: Aber vielleicht wäre mehr Beratung und weniger Gängelung Herablassung! Ich sag es mal platt: Malochende haben keinen Bock sich in „einer Tour“  von den linkskulturellen „Schlaudetts da oben“  gängeln zu lassen. 

Corona als Chance?

Die unteren Schichten wollen und brauchen neben soziale Sicherheit auch inneren Sicherheit. SPD Denker Nils Heisterhagen spricht hier von Verantwortungslinke, die in der Coronakrise wieder Boden gut machen könnte. Ich bin da etwas  skeptisch, weil ja gerade linke Parteien in der Corona Politik die Ängste der unteren Schichten, die übermäßig hart von den Maßnahmen betroffen sind, nicht in den Vordergrund stellen.  Man gewinnt manchmal den Eindruck, dass die Linke, die Kulturlinke,  Lockdowns, ob light oder hard, irgendwie hip findet und viel lieber ihre Zeit damit verschwenden wirre Ansichten einiger sog. „Corona Leugner“ zur Schau zu stellen, statt sich mit den Sorgen und Nöten der unteren Schichten, die die Einschränkungen durch die Maßnahmen am größten spüren, zu beschäftigen. Die soziale Ungleichheit wird sich, trotz vorübergehende keynseianische Wirtschaftspolitik, möglicherweise noch weiter verschärfen, wie der Sozialforscher Butterwege im Deutschlandfunk resümierte.

Was aber wenn die soziale und demokratische Linke (SPD und Linkspartei) das Thema „Corona und die sozialen Folgen“ komplett verschläft, weil die Sorge überwiegt noch mehr Wähler aus Akademikerschichten, dessen Corona-Sorgen eben nicht ökonomische (Ausnahme die Künstler_innen) sind,  an die Grünen zu verlieren?

Brauchen wir am Ende tatsächlich eine neue solidarisch- progressive Bewegung, die in diesem Kontext, beraten statt herablassen,  die Interessen der  Nichtakademiker_Innen wieder in den Vordergrund stellen?

PS:  Wenn Sie sich fragen, wie ich darauf komme, dass sich die Lebenswirklichkeiten mit dem Bildungshabitus (z.B mit-ohne Hochschulabschluss) unterscheiden, empfehle ich diverse Einlassungen von Wolfgang Merkel(Politikwissenschaften) und Andreas Reckwitz (Soziologe). Andreas Reckwitz Analyse zu den westlichen Sozialstrukturen sind m.E einleuchtend. Allerdings halte ich die Identifikation einer abstrakten neuen Mittelklasse, die akademisch und individualistisch geprägt ist für etwas zu abstrakt. Ich finde nicht, dass wir unsere Oberklasse auf eine Klasse von Superreichen, wie Reckwitz sie nennt, reduzieren können. Persönlichkeiten aus Reckwitz neuer“ Mittelklasse“ gehören natürlich sowie von ihrem sozioökonomischen, als auch ihren kulturellen Habitus nicht zur Mittelschicht, sondern zur Oberschicht! (Einflussreiche Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik ) BSP: Er leitender Angestellter eines nicht börsennotiertes Unternehmen, sie Rechtsanwältin in einer einflussreichen Kanzlei gehören mit einem Haushaltseinkommen von z.B 250-350TSD Euro jährlich sicher eher nicht zu den Superreichen (wie z.B Spitzensportler_innen Künstler_innen_reiche Erben und Unternehmensinhaber_innen Manager_innen von börsennotierte Unternehmer) , aber eben doch zur gestaltenden Oberschicht.

Lesetipps zu Merkel und Reckwitz im Netz:

https://taz.de/Soziologe-ueber-die-neue-Mittelklasse/!5523416/

https://www.sueddeutsche.de/politik/demokratie-unter-stress-eine-kulturelle-trennlinie-durchschneidet-deutschland-1.4067239

https://taz.de/Linksliberale-und-Identitaetspolitik/!5652406/